Dr. Marian Wild
– geboren 1982 in Nürnberg
– lebt und arbeitet in der Metropolregion
– Ausbildung: promovierter Kunstwissenschaftler, Diplom-Ingenieur (FH) für Architektur
– Preise / Stipendien:
Erster Preisträger des Heinz-Neidel-Forschungsstipendiums am Institut für moderne Kunst in Nürnberg, 2020/21
– im Ausland: Aufenthalte an vielen Orten in Europa, Japan, Thailand, Kambodscha, Israel, Kuba, …
– Website: www.marian-wild.de
Foto: Giulia Iannicelli
Wie bezeichnest du dich selbst?
Ich sage meistens Kunstwissenschaftler, weil meine Arbeit seltener mit historischen Untersuchungen zu tun hat. Vom Studium her bin ich Kunsthistoriker. Aber ich habe meinen Arbeitsschwerpunkt in der zeitgenössischen Kunst.
Was war dein erster Impuls?
Ich habe zuerst am Ohm Architektur studiert, ich bin ja auch Diplom-Ingenieur, habe aber damals schon gemerkt, dass mir das zwar sehr viel Spaß macht, aber mir das Theoretische mit der Kunstgeschichte besser liegt. Deswegen bin ich danach noch an die Uni und habe Kunstgeschichte draufgesetzt, weil ich das Gefühl hatte, dass ich da richtiger bin.
Gib es ein Vorbild?
Es gibt Architekten und Künstler, die ich sehr gut finde. Und es gibt auch Kunsthistoriker, die mir wichtig sind. Erwin Panofsky, weil er ein Vater der zeitgenössischen Kunstgeschichte ist. In der Architektur ist es der japanische Architekt Tadao Ando. Ich war ein paarmal in Japan, zum Teil auch als Dozent, und finde die Gebäude einfach grandios. In der Kunst liegen die Künstler*innen, bei denen ich nicht sofort verstehe, was in ihren Arbeiten passiert, das finde ich am spannendsten, wenn die Sachen undurchsichtig sind. Ich mag Rosemarie Trockel, und auch Katharina Grosse, war in Berlin in ihrer Ausstellung, die war fantastisch. Es gibt viele Namen, Imi Knoebel. Und natürlich Joseph Beuys. Ich bin ein großer Beuys-Fan.
Du bist als Kurator tätig, du erstellst auch Dokumentationen. Was magst du am Liebsten, das Kuratieren oder das Schreiben?
Ich hatte das Glück in den letzten Jahren immer wieder bei großen Ausstellungen dabei sein zu können. Im Neuen Museum war das damals die Japanausstellung und letztes Jahr die Ausstellung BAU [ SPIEL ] HAUS, da war ich jeweils kuratorischer Assistent; dann konnte ich letztes Jahr auch selbst Ausstellungen machen, die Jubiläumsausstellung in der WiSo zum Beispiel. Ich mache das sehr gerne, vor allem an ungewöhnlichen Orten, bin so ein bisschen Kurator-Nomade: Ich versuche immer da, wo es machbar ist, Kunstausstellungen aufploppen zu lassen. Durch die aktuelle Zeit hat sich natürlich auch viel beim Schreiben getan, ich schreibe momentan sehr viel. Ich mache mehrere Bücher zusammen mit dem Institut für Moderne Kunst und dem starfruit Verlag, außerdem Kataloge und aktuell im curt Stadtmagazin das Support-Projekt LOCKED IN: Über 60 Künstler*innen aus der Region, die ich in den letzten Monaten seit März interviewt habe und deren Werk ich beschreibe und die ich interviewe.
Wann hast du angefangen mit dem curt-Projekt?
Das Projekt im curt geht seit März. Als wir gemerkt haben, dass plötzlich alle Ausstellung abgesagt waren, haben wir alle gesagt, wir müssen jetzt schnell etwas tun. Etwas Virtuelles und Digitales, um die ganzen Leute sichtbar zu behalten. Ich dachte am Anfang, es würden 6, 10, 12 Leute mitmachen. Und dann nach ein, zwei Wochen hatten wir 60. Wir veröffentlichen auf curt.de jede Woche am Freitag einen Beitrag. Verbunden wird das Ganze mit einer großen Ausstellung. Wir wollen, sobald es wieder möglich ist, eine Ausstellung mit allen 60 Künstler*innen machen. LOCKED OUT. Das ist der Plan.
Gratulation! Das ist eine Topp-Idee.
Danke schön.
Das Highlight als Ausstellung 2020 für dich?
Katharina Grosses Ausstellung „It wasn’t us“ im Hamburger Bahnhof in Berlin fand ich wirklich grandios. Ich stand da mitten drin in diesem Farbenmeer. Man steht wie in einem virtuellen Raum. Völlig verrückt. Ich habe den Hamburger Bahnhof noch nie so gesehen, deswegen war das wirklich ein optisches Highlight für mich. Und sonst habe ich hier im Raum natürlich einige, weil ich auch an vielen Orten Führungen mache. Und Vermittlungskonzepte. Ein ganz großes Highlight war für mich die „OUT OF ORDER“-Doppelausstellung im Neuen Museum. In der Kunsthalle Nürnberg hat mir „THING 1/THING2“ sehr gefallen, eine sehr reichhaltige Ausstellung. Ich komme im Moment durch die verschiedenen Projekte sehr viel in der Region rum, deswegen sehe ich auch viel. Es gab ein paar sehr schöne Sachen in letzter Zeit.
Wer ist dabei in der Sammlung Dr. Wild?
Ich habe eine kleine, aber feine Kunstsammlung, zum Teil weil ich in der Vergangenheit oft mit Künstlerinnen und Künstlern Projekte gemacht habe und dann manchmal auch etwas geschenkt bekommen habe. [Er lacht.] Ich besitze einen kleinen Druck von Ludwig Hanisch, der hängt zu Hause über meinem Schreibtisch. Eine Manga-Collage von Hubertus Hess. Ein Waldfoto von Thomas May. Ein kleines Gipsgefäß von Hans Karl Kandel. Eine Aquarell-Postkarte von Seijin Kim. Also eine Sammlung von kleinen, schönen, persönlichen Dingen, die mich freuen wenn ich an die Momente denke, die damit zusammenhängen. Oh, und ein Legomodell des Bauhauses in Dessau. Das ist gerade als Dauerleihgabe in meiner Sammlung. [Er lacht.]
Was ist deine Welt innerhalb der Kunst?
Ich zeichne und skizziere immer wieder mal. Meine Welt ist die subversive und freie Kunst. In Japan gibt es eine Technik, bei der man das Holz am Haus abflammt, um es vor Schädlingen zu schützen. Die Oberflächen finde ich wunderschön.
Was ist nicht deine Welt innerhalb der Kunst?
Ausdrücklich politische Kunst. Ich glaube es wird da oft zu viel Erziehung betrieben. Mein Gefühl ist, dass hochwertige Kunstwerke automatisch politisch werden. Wenn das Ziel das Politische ist, ist es oft keine gute Kunst.
Brauchen wir mehr Kunstinitiativen in der Region?
Eine gute Frage. Es gibt Vieles und auch manches Gute, aber es liegt auch an der Kommunikation. Wenn wir alle stärker zusammen und langfristig agieren würden, wäre das gut für unsere Region hier. Es gibt viele kleine Initiativen, die Angst haben nicht zu bestehen. Was wir brauchen ist mehr Kommunikation statt Konkurrenz.
Ist die Szene in der Region besser als früher geworden?
Ja, es ist im zeitgenössischen Sektor besser geworden. Ich habe es in den letzten 20 Jahren mitgekriegt. Es ist mir aufgefallen, dass es im Neuen Museum mehr Diskussionen über konkrete Positionen und weniger über die grundsätzliche Berechtigung von zeitgenössischer Kunst gibt. Ich habe ein gutes Gefühl für die Region.
Wo siehst du Gefahren für die Kunst?
Man muss glaube ich sehr aufpassen bei der Diskussion über Moral. Zum Beispiel die Gemälde von Bahltus: Damals, zu seiner Zeit, war die Darstellung der minderjährigen Mädchen gesellschaftlich in Ordnung, heute sagt man völlig zu Recht, die Mädchen sind zu jung für solche aufreizenden Bilder. Eine Bahltus-Ausstellung wurde deshalb vor ein paar Jahren abgesagt, weil man ihr den Vorwurf der Pädophilie gemacht hat. Aber Bahltus war wichtig für die Entwicklung der Malerei. Das Werk muss gezeigt werden können, sonst verliert man das Verständnis für eine Entwicklung, aber man muss alles fachlich erklären und einordnen, über Hintergründe Verständnis für die Zeit schaffen ohne zu werten. Oder Michael Jackson? Darf er heute noch gespielt werden? Manche Radiosender lassen das aktuell sein, was ihr gutes Recht ist. Wenn man ihn aber nichtmehr spielt, bleibt eine Verständnislücke in der Pop-Geschichte. Ich denke man muss besser und mehr erklären. Man muss jede Kunst zeigen dürfen, moralisch „gute“ und „schlechte“. Wir müssen mehr mit der Gesellschaft kommunizieren.
Wie die Diskussion mit Herrn Gomringer – Straßen, Blumen, Frauen, Betrachter? Für mich persönlich ist „Betrachter“ falsch übersetzt, es müsste „Bewunderer“ heißen!
Gutes Beispiel, bei Herrn Gomringers Gedicht ging es irgendwann nur noch um ein Wort, nicht mehr um die Intention und Qualität des wirklich großartigen Gedichts.
Oder, ein noch viel kontroverseres Thema, manche Kunst aus der Zeit des Nationalsozialismus, wie sie auch gerade in der Kunstvilla gezeigt wird. Diese Kunst existiert, es gab diese Zeit und die Bilder von Dore Meyer-Vax und Ria Picco-Rückert. Werke dieser Art sind aus politischen und gesellschaftlichen Gründen so entstanden, es sind Zeitzeugnisse mit manchmal hoher, manchmal bescheidener künstlerischer Qualität, auch darüber muss man sich unterhalten. Die Nationalsozialisten sind nicht 1933 aufgetaucht und 1945 waren sie weg, und davor und danach gab es das Denken nicht, wie wir das heute auch politisch beobachten können. Als Kurator*innen arrangieren wir eine Erzählung, es ist sehr komplex im Nachhinein über die Menschen dieser Zeit zu forschen. Niemand war von technischer und ästhetischer Seite im „Dritten Reich“ so präzise und immersiv wie Leni Riefenstahl, aber sie war wie wir wissen eine Stütze des Nazi-Propaganda-Systems. Es ist wichtig, ihre Arbeiten mit diesem Wissen zu untersuchen und auch zu vermitteln, dass „ästhetisch gut“ oft nicht „moralisch gut“ heißt. Nürnberg als Ort der Reichsparteitage hat hier eine besondere Verpflichtung.
Bist du politisch?
Ja. Ich glaube es ist wichtig für die Gesellschaft, wenn viele Menschen sich politisch engagieren.
Warst du schon in einer Sitzung des Kulturausschusses?
Nein.
Soll ich dich Informieren, wann die nächste Sitzung des Kulturausschusses stattfindet?
Ja, bitte.
Wusstest du, dass es ein Gremium für Kultur in der Metropolregion Nürnberg gibt?
Ja.
Wusstest du, dass keine Künstler dabei sind?
Das wusste ich nicht. Das ist irritierend.
Warum heißt das Künstlerhaus Künstlerhaus, obwohl keine Künstler dort sind?
Es gibt so viele Künstler*innen und dazu noch die vielen Absolvent*innen der Akademie. Die können natürlich nicht alle einen Arbeitsplatz im Künstlerhaus finden.
Stell dir Folgendes vor: Eine Grundschule, ein ganzer Gang voll mit Hundertwasser-Fakes. Ist das didaktisch sinnvoll?
[Er lacht.] Ich habe selbst ein paar Jahre Kunst unterrichtet. Es hängt immer sehr davon ab, welches Material der Lehrer den Schülerinnen und Schülern gibt. Was die Kunst von Hundertwasser betrifft
ist sie sicher kein schlechter Ansatz: Als Lehrer kann man die Schüler*innen auf ihrem Weg begleiten, aber nur so weit, wie sie mitgehen. Ein Lehrer kann das aktivieren, was in den Schüler*innen vorhanden ist.
Sind die Museen nicht zu steif für Kinder und Jugendliche?
Das ist eine gute Frage. Es ist eine Frage der Vermittlung. Jedes Museum und jede Kunsthalle haben einen eigenen Stil und eigene Konzepte. Kinder und Jugendliche haben oft eine intuitive Beziehung zur Kunst. Die Nutzungskonzept im Museum sehen oft Distanz vor, zum Schutz der Objekte. Schilder und Markierungen, die besagen, sich dem Kunstobjekt nicht zu nähern und es nicht anzufassen. Auch das hat seine Berechtigung, weil man dem Werk damit Respekt zollt und es für spätere Besucher*innen erhält. Aber oft ist in einem Museum mehr erlaubt als man denkt. Leise sein muss man zum Beispiel nicht, aber viele Menschen machen das automatisch, wegen der oft ruhigen und entspannten Stimmung im Museum. Das ist doch toll.
Möchtest du noch etwas zu diesem Interview beitragen?
Im Sommer 2021 werden über 120 Ateliers auf AEG, am Quelle-Kombinat und noch einige Räume an anderen Stellen wegfallen. Es wundert mich, dass man hier nicht das Potential für die Stadtentwicklung sieht. Man könnte ein komplettes Viertel für Künstler schaffen, zum Beispiel in St. Leonhard/Schweinau, wo es jede Menge Leerstände gibt. Nicht nur für Ateliers, auch für Ausstellungen. Das Institut für moderne Kunst konzipiert gerade mit mir als internem Ansprechpartner ein umfangreiches Leerstandsprojekt, das im besten Fall alle fehlenden 200 Räume unterbringen wird, in enger Abstimmung mit der Stadt Nürnberg. Sowohl Immobilieneigentümer in Schweinau/St. Leonhard als auch Ateliersuchende können sich unter atelier@moderne-kunst.de bei uns melden!
Danke für dieses Interview Marian!
Dieses Interview ist im November 2020 entstanden.